Piz S-chalambert Dadaint und Dadora

Ackerterassen von Sent: Während der gesamten Tour immer schön sichtbar.
Ackerterassen von Sent: Während der gesamten Tour immer schön sichtbar.

 

 

Mit seinen 3031 Metern Höhe belegt der Piz S-chalambert Dadaint bloss die sechste Stelle auf Senter Boden, doch die mächtige Form des Massiv S-chalambert Dadaint und S-chalambert Dadora dominiert die Aussicht vom Unterengadiner Dorf. Kein Wunder also, dass die Tour über die beiden Gipfel schon lange auf unserer Liste stand. 

Im Auto fahren wir von Sent in wenigen Minuten hinunter nach Sur En, einem Dorf am Innufer zu dem neben einem Campingplatz einige wenige zerstreute Häuschen gehören. Von dort aus folgen wir zunächst dem «Skulpturenweg»-Wanderwegschild. An diesem Weg reihen sich über fünfzig Holz- und Steinfiguren internationaler und regionaler Künstler, die ihre Werke anlässlich des jährlichen Bildhauersymposioums in Sur En fertigten.  

 

Wir lassen die Skulpturen heute jedoch buchstäblich links liegen und laufen zielstrebig den steilen Waldweg hinauf in Richtug der Maiensäss S-chalambert. Trotz der kalten Herbstluft rinnt der Schweiss kitzelnd den Rücken hinunter. Ablenkung schafft der Blick hinunter zu den Ackerterassen östlich von Sent. Diese sind Zeugen vergangener Landwirtschaft im Unterengadin. Wo immer möglich, terassierten die Bauern früher das Gelände, um es als Ackerland zu verwenden. Die Böschungen sind heute verwachsen; jedoch bieten diese Insekten, Kleinsäugern und Vögeln einen einmalgien Lebensraum.

Der wunderschöne herbstliche Blick auf die verschneite Lischana.
Der wunderschöne herbstliche Blick auf die verschneite Lischana.

Nach etwa 1000 Höhenmetern gönnen wir uns bei der Maiensäss S-chalambert einige kräftige Schlucke Tee und eine Reihe Schoggi. Der Ort besteht aus einer malerischen Lichtung mit zwei knorrigen, kleinen Jägerhütten. Von nun an verschönert sich die Aussicht mit jedem gewonnenen Höhenmeter: Der Tiefblick ins Unterengadin, das Plateau zwischen Piz Lischana und Piz Cristanas sowie die Sesvennagruppe leuchten im Herbst- respektive Winterkleid. Ein gut ausgetretener Wanderweg führt bis zu einer mächtigen Arve auf knapp 2300 Meter, eine Wanderung bis hierhin ist allemal ein Ausflug wert.

Wir steigen jedoch gleich weiter hinauf bis an den Fuss der Westflanke des Piz S-chalambert Dadora (Pkt. 2449). Von hier gibt es zwei Möglichkeiten auf den Gipfel; beide sind übersichtlich auf diesem Hikr-Bild eingezeichnet. Wir kraxeln die direkte Route durch die Westwand hoch. Der am Vorabend gefallene Schnee sorgt jedoch für einige ungewollte Ausrutscher, aber immerhin sind die losen Steine starr im Boden angefroren. 

Stephanie bei Pkt. 2449. Im Hintergrund Lischana, Linard und das Engadin.
Stephanie bei Pkt. 2449. Im Hintergrund Lischana, Linard und das Engadin.

Nach etwas mehr als drei Stunden erreichen wir den Piz S-chalambert Dadora – den «Vorderen S-chalambert» auf 2678 Metern. Die Aussicht ist wunderschön, der Blick hinüber zur Aufstiegsroute des S-chalambert Dadaint, des «Hinteren S-chalambert», jedoch furchteinflössend. Ich wiegle den Kopf hin und her, verziehe den Mund, möchte eigentlich lieber nicht mehr weiter hinaufsteigen. 

Gipfelfreuden.
Gipfelfreuden.

Doch Simon ist ein Meister des guten Zuredens. So steigen wir vorsichtig in die Scharte zwischen Dadora und Dadaint ab. Dann schlängeln wir uns gemächlich die Nordwestwand hinauf durch schmale Runsen und treppenartige Felspassagen, über Schneefelder und Steinbockspuren. So erreichen wir nach etwa einer Stunde einfacher als erwartet den Gipfel. In T-Shirt-Temperaturen beissen wir herzlich ins Käsesandwich und den Steinbocksalsiz, während wir uns im spärlich bekritzelten Gipfelbuch verewigen.


Blick vom Gipfel ins Unterengadin...
Blick vom Gipfel ins Unterengadin...
... und nach Südtirol.
... und nach Südtirol.

Den Abstieg wählen wir über den grossblockigen Südgrat, dem wir bis zu einer Scharte mit einem grossen quaderförmigen Turm folgen. Dieser hat sich bereits durch einen breiten Spalt von seinem Heimatgestein getrennt und neigt sich vermutlich von Todeslust getrieben gefährlich zu Tale. Danach geht es etwa 1000 Höhenmetereter über die mit pickelharten Schutt bedeckte Südwestflanke hinunter.Ich fluche kräftig vor mich hin, setze im Schneckentempo einen Fuss vor den anderen; Simon wartet immer wieder händeringend auf mich, in der Hoffnung, dass wir es so vor der Dämmerung das Schuttfeld hinunter schaffen. Denn der ebene Talgrund scheint nicht näher zu rücken. Einzig die herbstlich goldene Aussicht ins Val d’Uina, welches das Engadin und Südtirol verbindet, zaubert mir manchmal ein Lächeln auf die Lippen.

Weiter unten ist das Geröll zeitweise lockerer, sodass wir die letzten Meter hinunterrutschen können.
Weiter unten ist das Geröll zeitweise lockerer, sodass wir die letzten Meter hinunterrutschen können.

Dieser Übergang zwischen Italien und der Schweiz war jahrhundertelang unbezwingbar. Eine mächtige Kalkwand riegelte den Weg vom Unterengadin ins Südtirol ab. Doch dann wurde im Jahr 1910 für etwa 32.500 Franken ein etwa sechshundert Meter langer Weg in den Felsen gesprengt. Was als Zugang zu Berghütten und Alpweiden gedacht war, benutzen allerdings bald vor allem Schmuggler.

Es vergehen gute drei Stunden, bis wir endlich auf die angenehme Forststrasse im Val d’Uina treffen. Von hier schlendern wir durch die letzte Passage der engen Uinaschlucht, vertieft in eine hitzige Diskussion, die zwei hungrige Berggänger nach mehr als zweitausend Höhenmetern und viel Kraxelei ernsthaft beschäftigt: Spätzli oder Schupfnudeln, Bratwurst oder Grillkäse zum Abendessen?

Die Südwestflanke von unten - endlich geschafft!
Die Südwestflanke von unten - endlich geschafft!

Kommentar schreiben

Kommentare: 0